Mehr als 70 Tage kompletter Lockdown: Lage-Update aus Nepal

07. 06. 2020

In den letzten Wochen standen Vroni und ich weiter über E-Mails und Anrufe mit Herrn Sudip in Kontakt. Heute haben wir wieder telefoniert. Er berichtet uns in großer Sorge um die Menschen und die allgemeine Situation in seinem Land.

 

Der Himmel blau, aber die Menschen in Not  

 

Seit 24. März besteht immer noch unverändert der komplette Lockdown im ganzen Land – das sind nun schon mehr als 70 Tage. Die Regelung wurde jetzt nochmal bis 14. Juni verlängert. Alle öffentlichen Einrichtungen bleiben weiterhin geschlossen. Bis auf 2 Stunden täglich morgens und abends zum Einkaufen von Lebensmitteln und der nötigsten Dinge, dürfen die Menschen ihr Zuhause nicht verlassen.

 

Die Strenge der Maßnahmen, die die nepalesische Regierung ihrer Bevölkerung auferlegt hat, liegt hauptsächlich im Bewusstsein und der Sorge begründet, dass das sehr schwach entwickelte Gesundheitssystem mit einer Ausbreitung des Virus schnell überfordert wäre und die Situation gravierend außer Kontrolle geraten könnte.

 

Leider steigen die Infektionen im Lande trotzdem schneller an als zuvor. Die Zahl der Infizierten liegt jetzt offiziell bei über 3000, davon ca. 300 Genesene und 11 Todesfälle. Die Infektionen sind über zahlreiche Provinzen verteilt. Die meisten Betroffenen sind Rückkehrer aus dem normalerweise grenzoffenen Nachbarland Indien. Laut Sudip kommen immer noch bis zu 5000 Nepalesen täglich von dort zurück. Aber auch Gastarbeiter, die in den Golfstaaten Arbeit hatten, und zahlreiche Menschen aus dem Großraum Kathmandu, die alle durch die Krise ihre Jobs verloren haben. All die arbeitslosen Menschen kehren in ihre Dörfer zurück, um sich wenigstens in der Landwirtschaft nützlich zu machen und so bessere Überlebenschancen als in der Stadt zu haben.

 

Die Umsetzung von Test- und Quarantäne-Regeln läuft unkoordiniert ab, was bei der Bevölkerung in den Kommunen zu großer Anspannung und Nervosität bzgl. der steigenden Ansteckungsgefahr führt. Sudip sagte „we cross our fingers but we don’t know what happens sooner or later” (Wir drücken unsere Daumen, aber wir wissen nicht was früher oder später passiert).

 

Zunehmend regt sich unter den Menschen aber auch Unmut und Widerstand, da die Lebensbedingungen schon an sich nicht einfach sind und viele Menschen täglich in irgendeiner Art ums Überleben kämpfen. Die Regierung gerät mehr und mehr unter Druck, die strengen Regeln zu lockern, da sonst noch viel schlimmere humanitäre Katastrophen drohen, bis hin zu bitteren Hungersnöten und dem kompletten Kollaps der Wirtschaft, vom völlig zum Erliegen gekommenen Tourismus ganz zu schweigen. Obendrein kommen versprochene Hilfsaktionen der Regierung (Relief Packages) zur Unterstützung Bedürftiger oft nicht dort an wo sie am meisten gebraucht werden. Das erschwert die Situation noch zusätzlich.

 

Wie sieht es in unserer Projekt-Region Ramechhap aus?

 

Sudip berichtet, dass unterdessen auch 19 Infektionsfälle ohne tödlichen Verlauf in der Provinz Ramechhap gemeldet werden, alle Betroffenen sind von außerhalb Eingereiste (s. o.). Unser Projektdorf Sukajor und die Gegend drumherum ist davon derzeit nicht betroffen, was uns natürlich sehr erleichtert.

 

Wie groß die soziale Not speziell bei den Familien unserer „Schützlinge“ aus der Primary School ist, kann auch Sudip nicht genau sagen. Die Schule ist ja immer noch geschlossen. Aber er vermutet, dass es nicht unbedingt besser geworden ist als vorher und hat mir versprochen, sich über seinen Vater (den Direktor) nach den Kindern und ihren Familien zu erkundigen. Den Kontakt mit den Kindern in dieser Gegend aufrecht zu halten, ist nicht so einfach, Smartphones oder gar Online-Schulunterricht wie z. B. in Kathmandu sind dort unvorstellbar.

 

Den Lehrerinnen und Lehrern geht es den Umständen entsprechend gut, die Menschen dort sind ja einiges gewöhnt. Auch unser Englisch- und Computerlehrer, Herr Saroj Tapa, ist ok. Sudip hat mit ihm letzte Woche telefoniert (was mir leider nach mehreren Versuchen von Thailand aus nicht gelungen war). Herr Saroj wohnt momentan bei seinen Eltern und hilft dort in der Landwirtschaft mit aus, bis die Schule wieder öffnet.

 

Sudip hat mir bestätigt, dass Herr Saroj während der Schulschließung weiterhin sein Gehalt aus den Vereinsspenden, die auf dem Schulkonto sind, erhält. Wir haben vereinbart, dass er uns Bescheid gibt, falls es für die Weiterzahlungen für das nächste Schuljahr zu Engpässen kommt. Dann müssen wir beraten was zu tun ist. Auch die anderen Lehrer bekommen ihr Gehalt vom nepalesischen Staat weitergezahlt - endlich mal gute Nachrichten, dass auch etwas funktionieren kann.

 

Zum Schluss noch etwas Positives zum Staunen. Am 15. Mai veröffentlichte die Zeitung „Nepali Times“ Bilder der besonderen Art. Zum ersten Mal seit vielen Jahren konnte der 200 km weit entfernte Mount Everest vom Kathmandu-Tal aus gesehen werden. Mehrere weitere Riesen der mächtigen Bergkette des Himalayas zeigten sich am Horizont um das Tal herum. Es entstanden atemberaubende Fotos von Abhushan Gautam, die wir hier gern mit euch teilen möchten. Ihr findet sie unter folgendem Link. Der Bericht dazu ist in Englisch, aber ich denke die Bilder sprechen für sich.

 

https://www.nepalitimes.com/banner/when-the-air-is-clean/

 

Wir bleiben weiter am Ball und melden uns wieder, sobald wir neues Wichtiges erfahren. Für heute wünschen wir Euch allen vor allem Gesundheit und Zuversicht. Unten noch 2 Fotos mit einem herzlichen Gruß aus Nepal von Herrn Sudip.

 

Namaste!

Trixi

 

Sudiep arbeitet im Home Office von zuhause

Sudip ist in der glücklichen Lage, seinen Job bei einer amerikanischen Hilfsorganisation zu behalten und im Homeoffice von zu Hause weiter zu arbeiten. Er berät die regionalen Vertreter der Kommunen online im Umgang mit der Covid-19-Krise.

 

Zum ersten Mal kann Sudiep von seiner Wohnung in Kathmandu die Berggipfel  des Himalayas sehen

Zum ersten Mal kann Sudip von seiner Wohnung mitten in Kathmandu die Berggipfel  des Himalayas sehen